Aktuelle Ausstellung
Nadine Rennert »Von der Kunst des Baumgehens«, bis 7. Februar 2021
Die Ausstellung ist jederzeit von außen in der Römerstraße 27 einsehbar.
Ausstellungen 2020
Elmar Hermann »Du sollst nicht schweigen«
22. August – 6. September 2020
Elmar Hermann, der erste Stipendiat des KUR(ona)-Stipendienprogramms im Schloss Balmoral, realisierte im August 2020 eine neue Installation, die unmittelbar auf Erfahrungen der Pandemie reagiert. Da Ausstellungen im Frühjahr verschoben oder abgesagt werden mussten, verlagerte Elmar Hermann seine Praxis zunehmend in den digitalen sowie in den öffentlichen Raum.
In der Ausstellung »Du sollst nicht schweigen« für den Kunstraum »Made in Balmoral« in Bad Ems führt er Gedanken und Formen aus zwei Projekten zusammen, die er realisierte, als die ganze Infrastruktur des Ausstellens plötzlich von Hundert auf Null gefahren wurde.
Zum einen werden modifizierte Formen aus der 3D-animierten Szenerie seines Online-Projekts www.defaultconcepts.net in den physischen Ausstellungsraum übersetzt. Zum anderen gewährt die Ausstellung einen Einblick in die von Hermann konzipierten Interventionen im öffentlichen Raum seiner Heimatstadt Neuwied. Hier entwickelte er gemeinsam mit seinem Berliner Kollegen Hugo Holger Schneider drei individuelle Mundschutzmodelle für das Denkmal des Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der im 19. Jahrhundert in Neuwied wirkte. Für die Webserie Default Concepts diente eine Türklinke als Ausgangspunkt, die der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein seinerzeit entwarf, und die der Gestalter Otl Aicher "die Summe aller Griffe" nannte.
Diese zwei Elemente - eine Maske und eine Klinke - wurden in den Corona-Zeiten auf absurde Weise einander entgegengesetzt: die eine steht für den Schutz gegen die Verbreitung der Viren und die andere als Virenträgerin schlechthin, die regelmäßig desinfiziert werden muss. Hermanns generelles Interesse an Regeln knüpft hier an. Was darf, kann, muss man sagen oder tun? Was ist sinnvoll und was sinnlos? Die neu eingeführten Hygieneregeln haben uns nachweislich vor einem schlimmeren Corona-Szenario bewahrt.
Und doch wurden imaginäre und reale Grenzen festgelegt, die uns schützen und gleichzeitig einschränken. Symbolisch dafür steht mitten im Ausstellungsraum ein 5 Meter langer Metallzaun, den Hermann zu einem Zwerchfell umformt. Dieser wichtige Atemmuskel ist mal für das Lachen und mal für den Schluckauf verantwortlich. Beides lässt sich nur schwer unterdrücken. Humor, Austausch und Gemeinschaft sind die Grundelemente in Hermanns künstlerischer Praxis, die er systematisch einsetzt. "Worüber man nicht reden kann, das muss man zeigen!" ist seine Antwort auf das Unsagbare, was für Wittgenstein das Reich der Mystik und der Kunst war.
Text: Elmar Hermann, Olga Vostretsova (Kuratorin)
Elmar Hermann *1978 in Neuwied, lebt in Neuwied. Studium Bildende Kunst und Linguistik in Düsseldorf; zahlreiche Ausstellungen, Stipendien und Projekte u.a. im Kunstverein Bonn (2008), ISCP New York (2011), WIELS Brüssel (2017), Kunsthaus NRW (2019), Goethe-Institut St. Petersburg (2019). Seit 2007 Teil der Künstlergruppe NUANS.
elmarhermann.de - www.nuans.online - defaultconcepts.net
Eunmi Chun | Vera Gulikers | Anna Lucia Nissen
8. Februar – 26. April 2020
Die Idee der Ausstellungsreihe »Luxus und Glamour?« ist es, Verbindungen zwischen Kunst und Mode sowie Schmuck aufzuzeigen. Während des Stipendiums forschen die Künstler*innen an ihrem individuellen Ansatz für diesen Themenkomplex. Dabei gerieten die Aspekte Mode und Schmuck mal mehr oder weniger stark in den Vordergrund ihrer Beobachtungen. Diese Diskrepanz führt jedoch zu einzigartigen Stellungnahmen, die von der vielschichtigen und kritischen Auseinandersetzung der Künstler*innen mit ihrer Umwelt zeugen. Der Prozess des Stipendiums spielt hier eine besondere Rolle, da Hilfestellungen der Stipendiat*innen untereinander manche Projekte überhaupt erst ermöglichten.
Der Austausch von Expertisen half Womanman007 (Anna Lucia Nissen) Objekte für ihr in Bad Ems begonnenes Projekt »Die Hure schlägt zurück« zu entwickeln. Dieses performative Werk, das sich durch eine Verwebung von Gesang, Gestik und Kostüm auszeichnet, basiert auf einem lyrischen Text, den die Künstlerin verfasst hat. Darin beschäftigt sie sich mit der prekären Rolle der Frau in der Bibel und in der modernen Lebenswelt. In der Performance kommen glamouröse Accessoires in Form von vergoldeten Sporen an High Heels und ein Fehdehandschuh mit vergoldeter Plattenpanzerung zum Einsatz, die den Gesten und der Stimme der dargestellten Figur Nachdruck verleihen.
Die aufwendigen und farbenfrohen Werke von Vera Gulikers befassen sich ebenfalls mit der weiblichen Rolle in der Geschichtsschreibung. Gulikers bezieht sich auf Malerinnen, die schon vor hundert Jahren einen weiblichen Blick auf die Darstellung von Atelierszenen oder Modellen warfen und damit den bis dahin dominanten männlichen Blick hinterfragten. Hierfür bedient sie sich Techniken, die man aus dem Bereich der Mode kennt, dem Siebdruck für den Hintergrund und dem Flocking, mit dem eine erhabene Veredelung von Textilien vorgenommen wird. Die pastellene Farbpalette sowie die dekorativen Aspekte ihrer Malerei und Bildsprache stehen dabei in einem scheinbaren Widerspruch zur kritischen Recherche der Künstlerin.
Eunmi Chuns »Spiegel des Neids« zeugt von dem leidenschaftlichen Spiel der Künstlerin mit Schmuck. Ihre Objekte fragmentieren das Selbstbild des Betrachters, können getragen werden und die Träger*innen im Alltag von der Allgemeinheit abheben. Dass diese Objekte als glamourös einzuordnen sind, ist eine gesellschaftliche Vereinbarung. Chuns Spiegel ist jedoch für eine einfache Brosche zu groß und verlangt vom potenziellen Träger, sich mit der Spannung zwischen Glamour und Unbequemlichkeit auseinanderzusetzen. Eine fragile Koexistenz lebt in diesen Werken, denen wir uns behutsam nähern müssen.
(Text: Patrick C. Haas)
Ausstellungen 2019
Ekachai Eksaroj | Lydia Nüüd | Thomas Perrin
30. November 2019 – 26. Januar 2020
Die zweite Ausstellung zum Jahresthema »Luxus und Glamour?« schließt an die vorausgegangene Präsentation an und zeigt weitere Positionen, die sich der Thematik auf persönliche Weise nähern. Die Vorstellung, dass ein Werk ein gewisses Maß an Zeit darstellen kann, wird besonders in den Arbeiten von Thomas Perrin (*1995 in Remiremont) und Lydia Nüüd (*1953 in Tartu) ersichtlich. Im Kontrast zu diesen beiden reagiert Ekachai Eksaroj (*1978 in Bangkok) auf seine Erfahrungen aus dem Alltag in Bad Ems.
Eksaroj, der Elemente aus der Mode in seine Arbeiten aufnimmt, hat für die Ausstellung eine groteske Skulptur aus Alltagshilfen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen entworfen. Durch das Verzieren mit Stoffen, falschen Edelsteinen und anderen Materialien wertet der Künstler die Plastik auf und überhöht diese scheinbar zu einem glamourösen Gegenstand, der von der stetigen Erweiterung des menschlichen Körpers zu sprechen scheint. In ihrer humorvollen Präsentation ist die Skulptur jedoch unnahbar und funktionslos: ein reines Fake-Luxusgut.
Perrins Kunstproduktion thematisiert die Arbeitsbedingungen von Künstler*innen, in erster Linie seine Situation im Künstlerhaus. Seine Arbeiten zeigen sein Atelier und seinen Schlafraum; ein intimer Einblick in sein Leben, der jedoch anonymisiert wirkt durch die monochromen 3D-Drucke und einfachen Linienzeichnungen. Skulpturen und Zeichnungen, welche eine schlafende Figur darstellen, vermitteln eine Leichtigkeit, die im Widerspruch zu der akribischen Arbeitsweise des Künstlers steht. Denn die 3D-Nachbauten seines Lebens- und Arbeitsraums sind genauso präzise und sorgfältig gefertigt wie seine Tagebucheinträge. Einen Satz aus seinem Tagebuch hat Perrin als 3Dgedruckte Handschrift an die Wand gebracht: »Je ne fais rien« (Ich mache nichts).
Dagegen verwandelt Nüüd ihre Zeit in emotional aufgeladene Muster. Über den Zeitraum der letzten zwei Jahre hat die Künstlerin sich intensiv mit dem Häkeln von Geschenkband beschäftigt. Dieses glänzende, kurzlebige Verpackungsmaterial transformiert sie in Objekte, in die sie in Form von immer gleichen gehäkelten Ringen eine Zeitlichkeit fixiert. Die hier entstandenen Installationen dienen als Ausgangspunkt für Nüüd, um auf Räume und Ausstellungssituationen zu reagieren und sich in diese einzuschreiben. Durch Überlagerung, Nebeneinanderstellung und Ausdehnung im Raum ergeben sich so stets neue Lesarten der Arbeit.
(Text: Patrick C. Haas)
Sarah Ama Duah | Jaekyung Jung | Elif Saydam
24. August – 17. November 2019
»Luxus und Glamour« ist eine Begrifflichkeit, die sich mit vielen Konditionen unseres Lebens in Verbindung setzenlässt. Sie kann materielle und ephemere Formen annehmen, sich durch Statussymbole wie Bekleidung, Autos oder Mobiltelefone ausdrücken. Es ist ein Luxus, Zeit zu haben, die man sich entweder einfach nimmt, oder wenn man sich in der monetären Situation befindet, sie sich nehmen zu können. Künstler*innen sind daher die Menschen, die oft in der luxuriösen Situation sind, dass sie sich Zeit nehmen, obwohl sie es sich bei ihrem Einkommen nicht leisten können. Wenn man sich dann noch mit der Thematik direkt auseinandersetzt, entstehen Spannungen, die wir Betrachter*innen in den Ausstellungen im »Made in Balmoral« antreffen können. Hier spielen Hunde, Kleidung aber auch die Idee des Quilts und der Malerei eine wichtige Rolle.
Bekleidung kann Statussymbol sein, von Luxus zeugen. Der Pelz des 21. Jahrhundert ist die Funktionsjacke. Sie vermittelt Sicherheit und Zugehörigkeit. Diese Art der Bekleidung mit ihrer Hightech-Oberfläche und ihrem Design wird zur Schutzschicht. Sarah Ama Duahs Archetypen der Bekleidungsindustrie, die sie in Form von Abgüssen wiedergibt, verlieren ihre Funktion, behalten jedoch ihren repräsentativen Charakter und soziologische Relevanz bei. Die feinfühlig gearbeitete Reproduktion wird schnell zu mehr als nur einem Abbild, sie wird Sinnbild für eine Idee von Bekleidung und Skulptur, die nicht mehr auf einen Körper angewiesen ist.
Im Kontrast dazu steht die Malerei von Elif Saydam, die durch die Abwesenheit eines Duktus die Begrifflichkeit öffnet. Malerei ist hier Definitionssache und als solche kann sie für die Künstlerin die unterschiedlichsten Formen annehmen. Die meist farblich intensiven Flächen werden von Texten bestimmt, die mit bisweilen kitschig poetischen Aussagen versehen sind. Ein Spiel mit dem Betrachter, das zu neuen Zugängen zu den Werken der Künstlerin führt. Dabei ist das Überbordende immer wieder auch Thema für die Künstlerin. Wie viel ist zu viel?
Dagegen sind die Filme von Jaekyung Jung ruhig und konzentrieren sich auf einen bestimmten soziologischpolitischen Themenbereich. Bei seiner Untersuchung der Umstände der verlassenen Vorstadt Seouls, Heonin Village, beobachtet der Künstler die streunenden Hunde des Ortes. Ein Überbleibsel der Menschen, die hier einst wohnten und im Rahmen von Immobilienspekulationen Heonin verließen.
(Text: Patrick C. Haas)
Nelmarie du Preez | Andrea Éva Győri | René Hüls
26. Januar bis 24. März 2019
Es gibt nicht nur eine Zukunft. Die Zukunft erscheint aus jeder Perspektive anders, besonders wenn es um existenzielle Fragen, Grenzsituationen wie »Leben«, »Lieben« und »Arbeiten« geht. Die Kunstschaffenden im Künstlerhaus Schloss Balmoral setzen sich für die Pluralität und Heterogenität der Zukunft ein. Zur Debatte stehen die Fragen: Was wissen wir von der Zukunft? Was erwarten wir vom Morgen? Welche intuitiven oder diskursiven Szenarien sind angesichts der Kunstwerke für die Gestaltung der Zukunft denkbar?
Nelmarie du Preez (*1985 in Pretoria, Südafrika) analysiert in ihren Werken die wechselseitige Beziehung zwischen Mensch und Technologie. Es geht darum, der Gegenwart durch »Antizipation« einen Schritt voraus zu sein. Die »Antizipation« basiert auf der kognitiven Fähigkeit, aus bestimmten Fakten und Informationen eine begrenzte Anzahl von möglichen Entwicklungen zu prognostizieren. Die Zukunft ergibt sich aus der Weiterentwicklung eines bisherigen Handlungsverlaufs. Die Fantasie und die Interaktion der Betrachterinnen und Betrachter werden gefordert, um die Leerstelle zwischen verschiedenen Zukunftsvorstellungen zu schließen.
Andrea Éva Győri (*1985 in Budapest) beschäftigt sich auf eine persönliche, intime Art mit der existenziellen Frage, was das Morgen für sie bringen wird. Sie erforscht Physis und Psyche in extremen Zeiten; dabei setzt sie sich mit ihrem vom Krebs befallenen Körper auseinander. Ihre Videos markieren die Echtzeit vor dem chirurgischen Eingriff. Die Werke zeigen in einer ritualisierten Handlung den physischen und psychischen Umgang mit der Krankheit, das Akzeptieren der bevorstehenden Veränderung. Es werden Furcht und Hoffnung offenbar. Die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem werden aufgehoben.
René Hüls (*1973 in Lörrach) gründet ein mobiles Institut, dessen Aufgabe darin besteht, ein Ort für gemeinsame Gestaltung außerhalb von normativen, regulären Institutionen zu sein. Ausgehend von der Frage »Wie wollen wir in der Zukunft leben?« sammelt und archiviert das mobile Institut Äußerungen und Meinungen. In Live-Interviews werden Ausstellungsbesucherinnen und -besucher nach ihren Zukunftsvorstellungen befragt. Dabei lässt der Künstler jede Aussage von einer Performerin in einen Strich umwandeln. Die auf diese Weise in Zeichnungen übersetzten Äußerungen sollen zeigen, wie Informationen statistischen Zwecken dienen.
(Text: Baharak Omidfard)
Ausstellungen 2018
Florian Graf | Gregory Olympio | The Lighthouse (Bert Jacobs)
17. November 2018 bis 13. Januar 2019
Angesichts des Themas »Gestaltung der Zukunft. Wie wollen wir leben, lieben und arbeiten?« setzen die internationalen Stipendiaten des Künstlerhauses auf Vielgestaltigkeit. Sind wir dazu bereit? Wie intuitiv oder strategisch arbeiten Künstler an ihren zukunftsorientierten Entwürfen? Wie lässt sich ein Raum bzw. ein Ort für das Koexistieren von Vielfalt realisieren?
Florian Graf (*1980 in Basel) greift für sein Werk auf die allgemeine, ursprüngliche Vielfalt und Variabilität des Lebens zurück, indem er in seinem Werk die wiederholten Formen, Systeme und deren Ordnungen aufnimmt, die man in der Natur vorfindet. Seine Formensprache besitzt sowohl reale als auch fiktive Merkmale. Wie irreal seine Ideen zunächst auch scheinen, gelingt es ihm dennoch, sie zu verwirklichen. Es entstehen Räume und Orte mit utopischen Ansprüchen an das Hier und Jetzt. Gerade dies macht die Poesie seiner Kunst aus.
Gregory Olympio (*1986 in Togo) interessiert sich, auch biografisch bedingt, für die Verbindung zwischen und die Verflechtung von unterschiedlichen Kulturen. In seinen zum Teil unvollendeten Gemälden setzt er sich mit der Idee der Tischgemeinschaft auseinander. Versammelt an einem Tisch zeigt er Menschen aus verschiedenen Kulturen. Die Tischgemeinschaft ist eine bekannte soziale Form, die in allen Kulturen ähnlich funktioniert und die Menschen zu einer Einheit zusammenführt. Das gemeinsame Mahl soll nicht den Abschluss sondern den Beginn einer Beziehung darstellen.
The Lighthouse versteht sich als Plattform für Begegnung und Verflechtung. Diese temporäre, autonome Plattform soll außerhalb der bekannten Hierarchien ein Zeichen für einen neuen Raum für Leben, Lieben und Arbeiten setzen. The Lighthouse besteht aus der Dekonstruktion und anschließenden Rekonstruktion von Alltagsobjekten. Bert Jacobs (*1983 in Maarheeze, Niederlande) beteiligt Menschen an dem Projekt, die Freude an der Gemeinsamkeit haben. Wo Menschen sich versammeln und ihren Alltag in veränderter Form leben können, entsteht ein soziales, unsichtbares, jedoch spürbares Werk.
(Text: Baharak Omidfard)
Soyoung Kim | Till Wyler von Ballmoos
1. September bis 28. Oktober 2018
Was ist Zukunft? Lässt sie sich gestalten? Welche Rolle spielt die künstlerische Intuition, wenn es sich um zukunftsbezogene Themen handelt?
Im Dialog mit dem Jahresthema »Gestaltung der Zukunft. Wie wollen wir leben, lieben und arbeiten?« widmen sich die internationalen Stipendiatinnen und -stipendiaten des Künstlerhauses möglichen Formen der Zukunft. Die Künstlerinnen und Künstler entwerfen ihre offenen (anti)utopischen Handlungsoptionen zwischen Fakt und Fiktion, welche im Schauraum »Made in Balmoral« konkretisiert werden. Basierend auf Fakten und Gegebenheiten entwerfen die Kunstschaffenden ihre methodischen, kulturkritischen Vorschläge zur Ausformung der Zukunft. Die >künstlerische Intuition< wird als die Möglichkeit der unmittelbaren, autonomen Anschauung verstanden, welche die Leerstelle zwischen Fakt und Fiktion schließt. Im Einklang mit Albert Einstein ist die Vorstellungskraft bzw. die Intuition wichtiger als das Wissen über die zukünftig aufkommenden Themen.
Soyoung Kim (*1979 in Jeoneup, Korea) beschäftigt sich mit dem Transformieren der Zeit in ihrer Kunst, welche sich an der Schnittstelle von Zeichnung, Text und performativem Auftritt bewegt. In ihren figurativen Zeichnungen mit exakt konturierten Formen und perfekten Linien umrandet sie das Fehlerhafte; zwischen Fakt und Fiktion öffnet die Künstlerin eine Welt, die als Kritik an der Zeit zu verstehen ist. In Anlehnung an den Roman »Frankenstein« von Mary Shelley – einen der wichtigsten Impulsgeber der Moderne – kreiert Kim die mehrteilige Rauminstallation »Franken-Island«, die aus der Zusammensetzung von mehreren Zeitschichten und Standpunkten eine Welt voller Symbole entwirft.
Dies ist die Skizze eines Romans, den Kim in der Zukunft plant.
Till Wyler von Ballmoos (*1979 in Bern) inszeniert performative Werke, welche Sprache, Musik und Choreografie zum Medium nehmen, um soziale und gesellschaftliche Vorgänge sichtbar zu machen. Die Grenze zwischen der echten und der durch den Künstler manipulierten Situation ist fragil. In der Begegnung und Beschäftigung mit dem Thema Zukunft macht der Künstler die Frage zum Ausdrucksmittel. In seinem Video »AFTER THE FUTURE: loterie de l’avenir« arbeitet er mit einer einzigen Frage. Wann stellt man sich und/oder den Anderen eine Frage? Steht eine Fragestellung mit einer bevorstehenden Veränderung bzw. Transition in Verbindung? Das Fragestellen ist eine analytische Methode, um die Unklarheit zu identifizieren. Es ist zugleich das Instrument des Faktensammelns in der Konfrontation mit dem Unbekannten; kann durch die Frage die Ungewissheit der Zukunft beseitigt werden?
(Text: Baharak Omidfard)
Emily Hunt | Lambert Mousseka | Emma Perrochon
24. Februar bis 8. April 2018
In Jahr 2017 liegt der Schwerpunkt der künstlerischen Arbeiten der Balmoral-Stipendiatinnen und -Stipendiaten auf »Keramischer Plastik«. Dabei versteht sich keramische Plastik nicht ausschließlich als modellierter und gebrannter Ton. Die präsentierten Arbeiten vermitteln einen lebhaften Eindruck in die vielfältigen künstlerischen Möglichkeiten, die der traditionsreiche Werkstoff Ton, auch in Kombination mit anderen Materialien, bietet.
Mit ihren Keramikskulpturen, Reliefs, Monotypien und Mosaiken schafft Emily Hunt (*1981 in Sydney, lebt in Berlin) einen vielschichtigen Kosmos voller Rätsel und Widersprüche: Farbenfrohe Porträts mit grotesken Gesichtern, verschlingende Hände, verschnörkelte Stühle und Schlüssel, wuchernde Ornamente, Reliefs mit grob modellierten Profilansichten oder filigranen Zeichnungen. Schönheit und Horror, Komik und Grausamkeit, Zartheit und Monstrosität, Rationalität und Ausschweifung liegen in Hunts Arbeiten nah beieinander. Als Bildträger für ihre detailvollen, zumeist figürlichen Darstellungen verwendet sie unterschiedliche Materialien wie Ton, Porzellan, Gips und Seide. In Auseinandersetzung mit Druckgrafiken des 16. Jahrhunderts findet sie nicht nur ihre Motive, sondern fragt nach Bedeutung und Möglichkeiten grafischer Interpretation. Dies mündet in die allgemeinere Frage nach einer künstlerischen, persönlichen Übersetzung der conditio humana.
Lambert Mousseka (*1976 in Kananga, Demokratische Republik Kongo, lebt in Stuttgart) arbeitet mit Keramik, Performance, Malerei und Zeichnung. Während seines Stipendiums hat er eine vielteilige Serie kleinformatiger Keramikskulpturen entwickelt. Grob modellierte und glasierte Figuren – deformierte Gestalten mit überdimensionalen Körperteilen und verzerrten Gesichtern, halb Mensch, halb Tier. Auf einem großen Tisch arrangiert lässt das Szenario an ein Bühnenbildmodell denken. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Naturreligion Voodoo und den damit verbundenen Ritualen und Heilsversprechen. Mousseka wirft einen kritischen Blick auf die Mechanismen von Glaubenssystemen, bei denen der Wunsch nach einem besseren Leben und Korruption und Ausbeutung nahe beieinanderliegen. Die Keramikskulpturen ergänzt er durch eine Serie von Malereien auf Holz, die von den Wünschen, Ängsten und Obsessionen der Menschen erzählen.
Emma Perrochon (*1987 in Auxerre, lebt in Tranqueville-Graux, Frankreich) verwendet eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien wie Ton, Glas, Emaille, Porzellan, aber auch natürliche Stoffe aus der Pflanzen- und Tierwelt sowie bereits existierende Alltagsgegenstände. Kennzeichnend für Perrochons künstlerische Praxis ist der experimentelle Umgang mit unterschiedlichen Materialeigenschaften und -zuständen. Durch die gezielte Verknüpfung und Bearbeitung bestimmter Werkstoffe und Objekte verändert sie nicht nur die ursprüngliche Funktion und Bedeutung der Dinge, sondern kreiert neue optische und haptische Eigenschaften. Ausgehend von ihrer eigenen Lebenspraxis beschäftigt sich Perrochon in ihren Werken mit der Idee des Do it Yourself und ökologischen Fragestellungen. Dabei stellt sie einen spannungsvollen Dialog zwischen alten handwerklichen Techniken und Traditionen und einer zeitgenössischen Formensprache her.